Über die Persönlichkeit
Individualität durch Erfahrung
Wie ein Mensch die Welt erfährt, hat immer zwei Ursachen. Entweder er überlässt sich dem, was auf ihn zukommt oder er konzentriert sich auf das, was ihn interessiert. Er sollte sich bemühen, sein Wahrnehmen auf diejenige Ebene einzustellen, aus der das Erleben des Augenblickes aufbauend, kräftigend und erfreuend wirkt.
Liebe Geschwister,
Wir sind alle Individualitäten. Persönlichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes werden wir aber erst, je mehr wir uns entwickeln, je mehr wir uns der Vollkommenheit nähern und wieder uns selbst werden. Jeder von uns ist dann anders.
Über dieses Anderssein möchte ich mit euch sprechen und euch aus meiner Warte ein paar gedankliche Anstöße geben. Wohlgemerkt, ich weiß mich dabei wohl einzuschätzen. Ich weiß also, daß das, was ich euch jetzt sagen werde, nicht von einem großen, hohen und erleuchteten Geist kommt. Aber das, was ich euch sagen möchte, braucht auch gar kein großer und erleuchteter Geist zu sagen. Ich glaube, das was ich erfahren und erlebt habe, ist genau das was Ihr benötigt.
Das Empfinden und Erfahren ist eine ganz seltsame Sache. Ihr sprecht manchmal von den verschiedenen Bewußtseinsebenen. Eine Person nimmt etwas wahr und eine zweite etwas gänzlich anderes. Ja, es ist tatsächlich so, daß mehrere Personen, obwohl sie sich in einem Raum und in einer Zeit befinden, trotzdem ganz unterschiedliche Dinge erleben. Es geht euch genau so wie einem Menschen, der in einer Stadt auf einem belebten Platz steht. Der eine schaut nach oben auf die Dächer und sieht dort den Schornsteinfeger, der andere schaut nach unten auf die Straße und sieht, wie jemand in einem Kabelschacht an den vielen Drähten arbeitet. Der dritte schaut nach hinten und sieht, wie sich gerade zwei Fußgänger erregt unterhalten, der vierte beobachtet direkt vor sich einen Spatz, wie er kurz vor einem vorbeifahrenden Auto einen Brotkrümel schnappt. Ihr könnt das noch weiter ausmalen, wieviel man in nur diesem einen Augenblick von diesem Standort aus sehen kann, einfach indem man einen bestimmten Blickwinkel hat. Auf diesen Blickwinkel will ich eure Aufmerksamkeit lenken.
Denn dieser Blickwinkel hat zwei Ursachen. Er ist entweder zufalls- oder interessengelenkt. Zufallslenkung heißt ja doch, daß uns etwas zufällt. Die Erfahrung die in diesem Moment auf uns zukommt, ist auf uns zugeschnitten. Die zweite Ursache für unseren Blickwinkel ist die, daß wir etwas erfahren wollen und uns darauf konzentrieren. Diese zwei Phasen gehen immer ineinander über und wechseln sich ab. Befinden wir uns in dem Stadium, wo wir entspannt, nicht konzentriert und nicht eine bestimmte Information erwarten, sind wir offen für die Zufallsinformation.
Wir können also Bereiche erleben, indem wir nach einer bestimmten Information suchen, oder wir lassen einfach das auf uns einströmen, was uns zufallen soll. Bitte vergegenwärtigt euch die enorme Vielfalt, die auf diesem Platz an Eindrücken und Erfahrungen auf euch wirken kann.
Ich möchte noch etwas weiter gehen. Stellt euch einmal einen schönen feierlichen Heiligen Abend in einer Berghütte vor. Draußen fallen ganz langsam die Schneeflocken herunter. Alles wirkt so leicht, schwebend, und die Flocken häufen sich aufeinander wie Watteballen. Der Schnee legt sich um die Hütte wie etwas Streichelndes, liebevoll Umhüllendes und Schützendes. Ihr sitzt am Fenster, im Raum ist es dunkel, und so seht Ihr das von außen einfallende Licht. Unter euch liegt der Ort mit seinen schwachen, warmen Lichtern, die bis hoch zur Hütte hinaufzuscheinen vermögen. Hinter euch knistert das Feuer im Ofen.
Wie Ihr nun diesen Augenblick erlebt, ist gänzlich Ausdruck eurer Persönlichkeit. Es spielen wieder verschiedene Elemente eine Rolle. Das persönliche Erleben hängt davon ab, ob Ihr in diesem Augenblick gedanklich gelenkt, gesteuert oder blockiert seid. Wenn irgendwelche Dinge euch belasten, beispielsweise der Gedanke, ob dieser Schnee, der jetzt langsam herunterschwebt, vielleicht morgen die unangenehme Höhe von zwei Meter erreicht haben wird und damit ein Absteigen von der Hütte unmöglich machen wird. Außerdem besteht die Gefahr, daß sich aus diesem leichten flockigen Schnee eine Lawine bildet, die eventuell die ganze Hütte, wie es schon einmal vor Jahren war, unter sich begraben könnte.
Diese Vorstellung wird selbstverständlich euer Empfinden in einer ganz anderen Richtung öffnen. Das heißt, eure Vorerfahrung mit diesem Raum und mit dieser Zeit beeinflußt euer Empfinden in dieser Situation ganz anders als jemanden, der noch nie auf dieser Hütte war und auch sonst keine Beziehungen und keine Erfahrungen mit Berghütten hat.
Ich glaube, daß allein diese gedanklichen Ausführungen genügen, um euer Denken ins Rollen zu bringen, was hier dahintersteht. Ich erzähle das euch deshalb, weil Ihr euch über etwas ganz Entscheidendes bewußt werden sollt:
Die ganze Schöpfung ist Realität. Weil aber alle Geschöpfe Individualitäten sind, wird auch in den vollkommenen Welten das Erleben der Schöpfung individuell geprägt sein. Jeder von euch, auch jeder von den vollkommenen Geistwesen, würde die oben beschriebene Situation in einer anderen Variation erleben, einfach weil seine Persönlichkeit ein individuelles Erleben erzwingt. Es gibt kein Erleben einer Situation völlig neutral und absolut, weil eben jedes Erleben persönlichkeitsbedingt ist. Das, was den einzelnen bis zu diesem Zeitpunkt geprägt hat, wird ganz automatisch als eine Art Filter wirken für das Realitätsbild und für das für ihn geltende Bild vom Absoluten.
Das absolut wirkliche Bild erlebt nur ein Einziger in der ganzen Schöpfung; das ist der Schöpfer selber. Alle anderen erleben diese Schöpfung durch ihren persönlichen individuellen Filter. Wenn Ihr nun weiter überlegt, werdet Ihr verstehen, wie unendlich wichtig das ist. Denn nur dadurch gibt es kein vollkommen identisches Nachgestalten. Jeder Versuch eines Geistes, seinen eigenen Heimatbereich, seine eigene Sphäre, seinen Wohnbereich aufzubauen, wird dadurch beeinflußt. Es wird ihm, selbst wenn er es wollte, nie gelingen, das Schöpfungsurbild absolut und gänzlich nachzuvollziehen. Er wird immer seinen persönlichen Faktor mit hineinbringen. Nur so kann diese unendlich schöne Vielfalt der Gesamtschöpfung entstehen, obwohl am Anfang nur ein Schöpfungsurbild da war. Wunderschön und harmonisch ist die unendliche Vielfalt der Welten. In immer neuen und überraschenden Variationen wird das Grundthema der Urschöpfung wiederholt. Welche Variation ein Geist schafft, liegt gänzlich in seiner ihm von Gott verliehenen unverlierbaren Freiheit.
Um so kritischer, disharmonischer und auch risikobeladener und bedrückender werden diese Schöpfungen, wenn dieses Urbild verlassen wird. Auch Ihr seid einst dieser Strömung aus freien Stücken gefolgt und gehört nun zu dieser gefallenen Schöpfung.
Die Erfahrungen in der Materie lassen euch die Lebenssituationen drastischer und krasser erscheinen als sie aus meiner Sicht der Realität sind. So seid Ihr in die Lage versetzt, Probleme und Gefahren, die auf euch zukommen, sowie eigene Fehler und Schwächen verstärkt zu erkennen. Wenn Ihr wollt und Ihr die Erfahrungen dieser Lebenssituationen verwertet, so wird euer Arbeiten an euch selbst effektiver und gezielter.
Befindet Ihr euch aber in einer trägen Verhaltensweise und seid Ihr nicht bereit, die Impulse, die der Alltag euch stellt zu beantworten, dann wirkt eine derartige Verstärkung belastend und deprimierend. In die Praxis umgesetzt heißt das: Wenn Ihr euch in einer belastenden und deprimierenden Situation befindet oder meint andere in einer solchen zu sehen, dann nehmt Ihr nicht bewußt genug die Probleme, die euch gestellt sind an. Ihr verhaltet euch dann zu passiv, zu träge und zu wenig auf Überwindung ausgerichtet.
Ich möchte euch einen Gedanken ins Bewußtsein rücken, einen, der so viele große Meister befähigt, auf dieser Erde überhaupt leben zu können: Sie sehen diese Welt mit ihren ganz persönlichen Augen. Ein großer Geist wie Christus sieht natürlich das Leid und die Not. Er sieht auch das viele Negative, das dahinter steht. Aber von der Prägung seiner Persönlichkeit her sieht er eben diese Welt unter dem Gesichtspunkt der Rückentwicklung in die Harmonie. Er sieht sie also lichter, harmonischer und sinnvoller.
Für euch, und das soll die Quintessenz meiner Worte sein, ist es von ganz entscheidender Bedeutung, daß Ihr euch immer wieder bemüht, euer Empfinden und Wahrnehmen auf diejenige Ebene einzustellen, aus der das Erleben des Augenblickes euch aufbauend, kräftigend und erfreuend wirkt. Sobald Ihr eine Situation als bedrückend und belastend empfindet, versucht euch auf diese Ebene einzustellen. Das Leid und die Not in dieser Welt werden nicht dadurch besser, daß Ihr sie einfach hinnehmt und euch in Trauer und Trübsal in diese Empfindungen auch noch mit hineinkniet. Sie werden nur gewandelt, wenn Ihr immer wieder versucht, euch besser auf die lichten, reinen und schönen Impulse einzustellen, die in allem liegen.
Ich hoffe, meine Worte haben das in euch wachgerufen, was ich euch vermitteln wollte, wenn es auch schwierig war, dies in Worte zu fassen. Wir wollen euch nicht nur Wissen vermitteln, sondern wir versuchen des öfteren, in euch Gefühlswerte wachzurufen. Sobald Ihr bereit seid, diese Empfindungen zu wiederholen, um euch wieder damit auseinanderzusetzen, ist es an Eurer geistigen Führung, an eurem persönlichen Schutzgeist, gefühlsmäßig in euch weiterzubauen. Wohlgemerkt: gefühlsmäßig und nicht verstandesmäßig. Den Verstand, dies alles zu begreifen, habt Ihr alle noch nicht, bedingt durch die Begrenztheit der Materie. Aber euer Empfinden, euer Fühlen und Erspüren, ist immer dem Verstand um einige Schritte voraus und vermag euch so Erfahrungen zu vermitteln, die Ihr noch lange nicht begreifen könnt. Ich wünsche euch eine gesegnete Zeit in dem Bewußtsein der Allgegenwart unseres Heilandes und Meisters.
Gott zum Gruß und Jesu Heil.